Anwendung von Zwangsmitteln bei der Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländer*innen

    Positionspapier

    Transparenz, Zusammenarbeit und pädagogische Intervention anstatt Androhung/ Anwendung von Zwangsmitteln bei der Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländer*innen

    Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Bremen e.V. (LAG) vertritt die fachlich begründete Haltung, dass das Recht auf Gewaltfreiheit zu achten ist. Die Androhung oder Anwendung von Zwangsmaßnahmen darf nur auf der Grundlage von Eigen- oder Fremdgefährdung in Betracht gezogen werden. Gestützt auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die UN-Kinderrechtskonvention sowie dem Gutachten des Deutschen Vereins folgend lehnt die LAG daher die Anwendung von Zwangsmitteln bei der Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern (umA) ab.

    Menschenrechte und Kinderrechte sind umzusetzen. Die LAG weist auf Art 25 Bremische Landesverfassung hin. Gesetze können geeignet sein, Kinderrechte nicht ausreichend zu beachten. Die bundesweite Umverteilung der Jugendlichen wurde in einer Situation der Überlastung nach dem Königsteiner Schlüssel beschlossen (§42c SGB VIII). Die aktuelle Zahl der umA, die Deutschland und Bremen erreichen, überfordert die Jugendhilfe vor Ort nicht. Hiermit wird daher angeregt, auf Bundesebene die Lage neu zu bewerten und ggf. den Diskurs über  eine „Umverteilung“ der Finanzierung der Plätze anstelle eines Ortswechsels der jungen Menschen wieder aufzugreifen.

    Gewaltausübung und deren Androhung lehnt die LAG ausdrücklich ab. Dabei wird das staatliche Gewaltmonopol nicht in Frage gestellt. Anstelle der Androhung einer Zwangsmaßnahme fordert die LAG jedoch geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um pädagogisch auf die Bedürfnisse des jungen Menschen in der persönlichen Krise einzugehen. Hier sieht die LAG Parallelen zur intensivpädagogischen Begleitung anstelle von geschlossener Unterbringung von jungen Menschen.

    Die entsprechende Verwaltungsanweisung darf in der Praxis daher heute keine Anwendung mehr finden und ist folglich aus Sicht der LAG außer Kraft zu setzen.

    Die LAG bringt hier ihre Sichtweise auf eine rechtlich, ethisch und pädagogisch komplizierte Situation zum Ausdruck. Die Mitglieder der LAG beteiligen sich gern an einem Diskurs über geeignete Rahmenbedingungen für den Umgang mit umA, denen ein Ortswechsel nahegelegt wird. Ziel ist eine pädagogische Begleitung/ Intervention anstelle einer Androhung von Zwangsmitteln gegenüber umA.

    Rahmenbedingungen für eine pädagogische Begleitung eines (möglichen) Ortswechsels

    von umA:

    • klare Trennung von Aufgaben und Rolle der Mitarbeiter*innen des Jugendamtes von denen der Mitarbeiter*innen der Erstaufnahmeeinrichtung;
    • Transparenz über die Kriterien der Prüfung des Kindeswohls allgemein undgegenüber dem jungen Menschen im Einzelfall;
    • Transparenz über alle Maßnahmen und Regeln sowie gesetzlichen Vorgaben, die den jungen Menschen betreffen sowie die daraus abzuleitenden Folgen, z.B. ein Ortswechsel;
    • strukturelle Einbindung einer Ombudsstelle im Sinne des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (§9a SGB VIII): Steht das Kindeswohl einem Ortswechsel nicht entgegen, gelingt eine Umverteilung i.d.R. mit pädagogischer Intervention freiwillig. Zur Wahrung der Rechte der jungen Menschen und der Stärkung ihrer Selbstbestimmung und Beteiligung wird dem jungen Menschen in der besonderen Lebenssituation in einer Erstaufnahmeeinrichtung ein geeigneter Beistand angeboten, insbesondere im Fall einer Verweigerung eines Ortswechsels.
    • In Anerkennung der inneren Notlage werden dem Kind oder Jugendlichen Maßnahmen zur körperlichen und psychischen Stabilisierung angeboten. Ziel ist, die Hoffnung auf eine Besserung der Lebenssituation zu stärken und Energie freizusetzen, damit neues Wissen und neue Fähigkeiten wie Sprache, politisches und kulturelles Selbstverständnis oder berufliche Kompetenzen erworben werden. Über die Annahme dieser Angebote entscheidet der junge Mensch.
    • Dem jungen Menschen wird die individuell benötigte Zeit für die Verarbeitung seiner neuen Lebenssituation und der dazu gehörigen Entscheidungen eingeräumt. Dazu gehört u.a. ein Kennenlernen des vorgesehenen neuen Lebensortes.
    • Dem jungen Menschen wird ein begleiteter Besuch am optional neuen Lebensort angeboten, so dass er*sie sich selbst ein Bild machen kann.

     

    Zum Hintergrund der Verwaltungsanweisung: In den Jahren 2015 und 2016 erreichten eine um ein vielfaches gestiegene Zahl geflüchteter Menschen Deutschland, auch zahlreiche umA. Die Versorgung und Betreuung der jungen Menschen stellte die Jugendhilfeeinrichtungen nicht nur in Bremen vor nicht zu bewältigende Herausforderungen. Die bundesweite Umverteilung der jungen Geflüchteten nach dem Königsteiner Schlüssel wurde nach intensiver Debatte entschieden und führte zumindest zu einer besseren Betreuungssituation in Bremen. Dennoch darf eine sog. Verbringung eines*r jungen Menschen an einen anderen Ort nur erfolgen, wenn Gefährdungen des Kindeswohls dem nicht entgegenstehen und die Rahmenbedingungen geeignet sind, das Kindeswohl zu achten.

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